Menü
Startseite
Mit dem Caravan durch vier Jahrzehnte
Kunst? Wo?
Aus der Pyramide soll ein Pool werden
Im Schatten der Kunst
Ein Weg ohne Ziel
Kunst unter Polizeischutz
Aber lass den Brunnen verschwinden
Moderner Minnesänger für Münster
Die Arbeiterbewegung nicht vergessen
Skulpturen machen Theater
Eine besondere Langzeitstudie
Nachwuchsförderung nur während der Öffnungszeiten?
David gegen Goliath?
Kunst fürs Klo
In die Irre geführt?
Kunst neu erfahren
Politische Kunst

Das Team
Impressum
 





ABER LASS DEN BRUNNEN VERSCHWINDEN!




Text und Foto:
Christoph Kotschate


Der mobile Kran schwenkt seine Last. Unten stehen zwei Bauarbeiter und strecken die Arme aus. Wir sind an der Windthorststraße. Rechts wird ein Grundstück planiert, der gegenüberliegende Parkplatz aufgerissen und wenige Meter links finden Kanalarbeiten statt. Doch der Kran steht an keiner dieser Baustellen. Er steht auf dem Harsewinkelplatz an der Windthorststraße und seine Last ist ein Museum.

Michael Staab dirigiert das Geschehen. Sein Job: „Ausstellungs-realisation". Bei großen Skulpturen, die ein Künstler wegen ihres Volumens nicht alleine zusammenschweißen, schrauben oder kleben kann, übernimmt er die „Bauleitung“. Michael Staab hat viel zu tun, es ist Anfang Juni 2007. Die „Skulptur Projekte“ stehen ins Haus. In acht Tagen ist Eröffnung und dann soll dort, wo bis jetzt nur ein Sockel aus Glas und Stahlstreben steht, die Skulptur „Modell für ein Museum“ von Thomas Schütte zu sehen sein. Direkt über dem Brunnen am Harsewinkelplatz wird auf dem Sockel ein Gebäudemodell thronen, das zum Teil aus orangefarbenem Plexiglas gefertigt ist.

Eine Menschentraube steht um Michael Staab und sein Team. Überall Kameras. Vorsichtig lässt der Kran das Modell herab. Staab huscht um die Skulptur herum, kriecht unter den Sockel. Dabei immer eine selbst gedrehte Zigarette in der einen, das Handy in der anderen Hand. Aus seiner Gesäßtasche ragt ein Zollstock.

„Bauleiter ist schon eine etwas seltsame Bezeichnung, aber sie trifft es. Ich sorge dafür, dass das Objekt eins zu eins umgesetzt wird, wie der Künstler es haben will. Dass er bei den Tonnen von Material nicht anfängt, jede Glasscheibe selbst zuzuschneiden, ist gängige Praxis.

Das muss man sich ähnlich wie bei einer Theaterproduktion vorstellen. Da stehen drei Leute auf der Bühne und ungefähr 30 wirken im Hintergrund.“ Die Skulptur ist trotzdem allein Schüttes Werk. Das Kunstwerk ist bis ins letzte Detail zu Ende gedacht, hier wird nichts mehr probiert oder angepasst.“ Staab ist also Bauleiter, bloß dass er zusätzlich einiges von Kunst versteht.

Wenn das
„Modell für ein Museum“ fertig ist, wird es das zweite Werk von Thomas Schütte auf dem Harsewinkelplatz sein. Für die „Skulptur Projekte“ 1987 stellte er hier die „Kirschensäule“ auf. Auf einer etwa drei Meter hohen Sandsteinsäule sind zwei übergroße Kirschen platziert, leuchtend rot lackiert. Sie glänzten damals mit dem Lack der Autos um die Wette, die auf dem Harsewinkelplatz standen. Denn dieser war zu jener Zeit trotz seiner innenstadtnahen Lage ein schnöder, asphaltierter Parkplatz. Thomas Schütte, der in seinen Skulpturen oft städtebauliche Themen kommentiert, gab so sein Statement ab und erhob mit seinem Werk den Harsewinkelplatz zu einem „richtigen“ Platz. Dass er zu diesem Zweck zwei Kirschen bemühte, kann als Ausdruck seines oft ironischen, kritischen Untertons gedeutet werden. Er zeigt, dass alles, was auf einer hohen Säule platziert wird, automatisch in seinem Wert steigt, zur Kunst erhoben wird. Angesichts der Marienstatue vor der Ludgerikirche, ihrerseits auf einem Sockel thronend und nur 300 Meter entfernt, gibt das zu denken.

Die Säule erfüllte trotzdem ihren Zweck und man nahm den Platz nun eher als einen Ort wahr, an dem Öffentlichkeit stattfinden kann. Die Stadt gliederte ihn in die Fußgängerzone ein, Asphalt wurde gegen Kopfsteinpflaster getauscht und statt parkender Autos stehen nun Stühle und Tische eines Cafés auf dem Platz. Zuletzt spendete die Kreishandwerkschaft noch einen schmucken Brunnen und rundete das Gesamtbild ab.

Kunst, die den öffentlichen Raum beeinflusst, die bewegt: das ist die Leitidee der „Skulptur Projekte“. Das hat Thomas Schütte am Harsewinkelplatz offenbar bereits geschafft.

Warum also kehrt er zurück? Es ist dieser Brunnen. Für den gemeinen Passanten unauffällig liegen dort zwei Sandsteine. Sie sind so geschliffen, als wären sie die Teile eines gespaltenen Findlings. Aus dem größeren fließt Wasser in ein zwischen den beiden Steinen gelegenes Becken. Fertig. Na und?

„Also ich weiß gar nicht, ob ich das jetzt schon erzählen sollte, aber irgendwer muss ja den Anfang machen.“ Staab drückt sich ein bisschen herum. „Es ist natürlich eine Geschmacksfrage. Der Brunnen hat formal sicher seine Ästhetik und seine Berechtigung, aber wenn man sich professionell mit Kunst und Skulptur beschäftigt, lässt er einige Wünsche offen. Man könnte eine Platzgestaltung auch mit etwas mehr künstlerischer Ambition machen, sag ich mal.“

Der Brunnen macht also nicht viel her. Und so begab es sich wohl, dass Kaspar König, Kurator der „Skulptur Projekte“, Thomas Schütte ansprach und ihn bat, etwas für diese Ecke der Stadt zu entwerfen. Wieder ein Zitat zu setzen, wieder am Harsewinkelplatz. Und dann war da vielleicht der Wunsch: "Aber lass diesen Brunnen verschwinden!“

Und Schütte erfüllte ihn. Der Brunnen ist zwar nicht ganz verschwunden, doch zumindest von Glas eingefasst, auf einen Platz unter dem Sockel der Skulptur verwiesen und verblasst, wie der gesamte Platz, gegen das leuchtende Orange des Museumsmodells. Wenn es regnet, beschlägt das Glas manchmal und verhüllt den Brunnen sogar komplett. Man hört ihn dann nur noch unter dem Modell gurgeln.

Irgendwann erscheint Thomas Schütte selbst. Es herrschte bereits vorher rege Betriebsamkeit. Jetzt aber bricht wahre Hektik unter den Journalisten, Fotografen und dem Kamerateam aus. Doch Schütte bleibt gelassen. Sportliche Anzughose mit Hemd, Sonnenbrille, Sportschuhe und dazu ein abgewetztes Basecap. Er schlendert um sein Kunstwerk herum, betrachtet es ausgiebig. Offenbar kennt er einige der Schaulustigen und Fotografen Smalltalk. Er weist noch eben die Bauarbeiter an: „Macht noch mal eben Ordnung da oben“, die Seile an denen das Modell befestigt war, hängen nämlich noch immer an der Skulptur herunter. „Ich muss jetzt aufs Klo“.

Als er wiederkommt, geht er mit Michael Staab noch einmal die Skulptur ab, zeigt hierhin und dorthin. Nach einer halben Stunde ist er wieder verschwunden. Das Fernsehteam und die anderen Journalisten bleiben weitgehend unbeachtet.

Ob Schütte denn zufrieden sei? „Na ja, ich glaube es gibt keinen Künstler, der hundertprozentig mit seinem Objekt zufrieden ist. Man fragt sich immer, ob wirklich jeder Winkel, jedes Maß richtig ist“, sagt Staab. Dann muss auch er los. Zusammen mit Armin Mittig betreut er den Aufbau der gesamten „Skulptur Projekte“. Das bedeutet heute, dass noch sechs weitere „Baustellen“ auf ihn warten.

Drei Wochen später. Es ist Donnerstagabend: Velo Lounge. Zwei Fahrräder werden auf den Harsewinkelplatz gefahren und klobige Aufbauten ausgeklappt. Auf dem einen kommt ein DJ-Pult ans Licht, der andere entpuppt sich als kleine Theke. DJ Maggy May baut die Boxen auf, Dirk und Sandra die Pavillons, die von einem kleinen Transporter gebracht werden. Velo Lounge – hier soll das richtige Ambiente geschaffen werden, um Kunst an junge Leute zu vermitteln. Es läuft Tocotronic, alkoholfreie Cocktails sind umsonst und Bier gibt es für Einsfünfzig. Die jungen Leute kommen. Etwa 50 drängen sich um „Ein Modell für ein Museum“, klettern auf die Bänke, die an dem Glassockel angebracht sind („Dafür sind sie da“, hat Michael Staab gesagt).

„I don´t know why I hate you so much, bicycle-riders of this town…" dröhnt es aus den Boxen. Auch wenn die Band Tocotronic sich eigentlich über Freiburg ereifert, müssen diese Textzeilen in der Fahrradhauptstadt" Münster vor den Kopf stoßen. Provokativ. Plakativ. Irgendwie passend zu Thomas Schüttes Skulptur.

Zwischen den Leuten läuft Rabea von Grüppchen zu Grüppchen. Sie ist „Kunstvermittlerin", die für Fragen rund um die Skulptur bereit steht. Wie fast alle, die bei der Velo Lounge mitmachen, ist sie Kunststudentin.

„Die Leute nehmen das Kunstwerk gut auf. Die meisten fasziniert der provokative Kontrast zwischen dem ruhig und schlicht gehaltenen Harsewinkelplatz und dem leuchtenden Orange. Das Museum, zum Leuchtturm der Kultur, Tempel der Künste erhoben über diesem Brunnen. Die Ironie ist mit Händen zu greifen.“

Auch die Kunstvermittler wollte Thomas Schütte offenbar treffen. Kurz vor der Eröffnung der Ausstellung ließ er seine Skulptur um ein Detail erweitern. In dem überbauten Brunnen steht jetzt eine etwa 30 Zentimeter hohe Bronzestatue. „Wir hatten uns natürlich vorbereitet. Die Statue bringt alles ziemlich durcheinander, wir stehen etwas ratlos da.“

Dass Thomas Schütte für kein einziges Interview seine Skulptur betreffend zur Verfügung stand, ist da natürlich nicht hilfreich. Offenbar ist die Interpretation – wie so oft – allein dem Betrachter überlassen. „Ich könnte mir vorstellen, dass sie Kaspar König zeigen soll“, meint Rabea, „der hat das ganze schließlich angeleiert. Aber es kann sein dass der nächste Kunstvermittler einem etwas ganz anderes erzählt.“

Um halb neun ist es dann aus mit den Freigetränken. „Mehr als 100 Cocktails können wir pro Abend nicht ausschenken. Aber morgen geht’s ja an Ashers Wohnwagen weiter “ sagt Sandra. Na gut. Die Studenten ziehen sowieso gerade ab. Um neun packt auch das Velo-Lounge Team ein.

Auch das „Modell für ein Museum“ wird wohl am Ende der „Skulptur Projekte“ wieder abgebaut, anders als die „Kirschensäule“. „Man weiß nie, wie sich die ,Projekte' entwickeln, womöglich beschließt ein Gremium, die Skulptur hier stehen zu lassen,“ orakelt Staab, „geplant ist die Skulptur aber temporär, was der Kreishandwerkschaft sicher auch lieber ist.“

Das hieße, dass Michael Staab Ende September wieder mit Kran und Zollstock anrücken würde. Und der Brunnen wäre wieder einfach der Brunnen am Harsewinkelplatz.



Christoph Kotschate wurde 1986 geboren und ist Student der Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er studiert im zweiten Fachsemester und arbeitet nebenbei für das Campusradio „Radio Q“. Die „Skulptur Projekte“ haben ihn dazu veranlasst, sich vorzunehmen, in Zukunft mit etwas offeneren Augen durch die Stadt zu gehen und die dargebotene Kunst wahrzunehmen.



Bauarbeiter, Staab: „Man fragt sich immer, ob wirklich jeder Winkel, jedes Maß richtig ist.“




Schütte-Werk „Modell für ein Museum“:
Besteigen der Bänke ausdrücklich erwünscht

 
 
 

Diese Website ist das Produkt zweier Online-Journalismus-Seminare am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster. Mehr erfahren Sie hier:  |  Das Team  |  Impressum  |  Diese Seite als Favorit speichern bei:  Del.icio.us