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DAVID GEGEN GOLIATH?
ZWEI AUSSTELLUNGEN
IM VERGLEICH





Text: Laura Perenz
Fotos: Laura Perenz (o.), Presseamt Stadt Münster,
Angelika Klauser (u.)



Eine ausgestopfte Giraffe namens Brownie, biertrinkende, grinsende Chinesen, ein tanzendes Ballkleid, düstere Särge und ein aus 100 Prozent organischem Material hergestellter Motor eines Trucks. All dies macht nur einen Bruchteil der Werke aus, die in diesem Sommer für ganze 100 Tage auf der vorgeblich weltweit bedeutendsten Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Kassel zu sehen sind.

Die gewaltige Baustelle „Wellness am See“, eine Litfasssäule politischer Zeitgeschichte, „Aequivalenz-Zerschmetterte Steine“ und die schönste öffentliche Toilette Deutschlands. All dies stellt einen Auszug aus der kleinen, aber feinen Auswahl an Exponaten dar, die in diesem Jahr in Münster auf der größten Open-Air-Ausstellung Europas zu finden sind.


Diese Ausstellungen bilden in diesem Jahr die zwei deutschen Reiseziele auf der Kunstreise durch quer Europa: der „Grand Tour des 21. Jahrhunderts“. Wohin auch immer die Fahrkarte führen mag, ob nach Münster, Kassel, Basel oder auch nach Venedig, eines haben alle Ziele gemeinsam: die Vermittlung der Kunst.

Die Kunstausstellungen bleiben, wenn auch alle vier auf ihre eigene Weise, der eigentlichen Idee der „Grand Tour“ treu: So wie damals die Söhne des Adels auf die obligatorische Bildungs-reise geschickt wurden, so soll in diesem Sommer das kunstbegeisterte Publikum, insbesondere aber auch das Laienpublikum, auf eine spannende Reise durch eine Welt der zeitgenössischen Kunst entführt werden. Ein langer Sommer, vier große Ausstellungen, ein komplexes Thema: die Kunst. Um nicht in der Masse unterzugehen, mussten individuelle Konzepte und Zielsetzungen her. Und so schaffen es insbesondere die beiden deutschen Ausstellungen, die in ihrer Art und Gestaltung unterschiedlicher nicht sein könnten, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges lag ein Großteil der deutschen Städte in Trümmern. Doch bereits zehn Jahre später konnte moderne Kunst in Deutschland wieder aufleben. Und dies in der doch eher unscheinbaren Stadt Kassel. Als Ergänzung zur Bundesgartenschau eröffnete 1955 die erste „Documenta“. Dass diese einmal zur wichtigsten Ausstellung moderner Kunst avancieren sollte, hätte sich damals wohl noch niemand erträumen lassen. Und auch die Gebrüder Grimm hätten ihre Bremer Stadtmusikanten wohl nicht in Bremen musizieren lassen, wäre ihnen bewusst gewesen, dass ihre Lieblingsstadt selbst einmal zu einer der weltweit bekanntesten deutschen Städte zählen würde.

Vom 16. Juni bis zum 23. September findet in diesem Jahr nun schon die zwölfte Documenta statt. Bereits im Vorfeld wurde dieses Kunstereignis in den Medien heiß diskutiert. Schönheit, Sinnlichkeit und Lust zählen zu den Schlagworten, welche den ersten Eindruck der diesjährigen Ausstellung prägen. Doch inmitten all dieser schönen Wörter blitzt immer mal wieder ein durchaus elitärer pädagogischer Anspruch auf. Die Documenta 12 setzt nicht nur auf die Macht der Ästhetik, sondern vor allem auf Bildung: „Ich will die Daumenschrauben anziehen, so fest es geht“, ließ der künstlerische Leiter Roger Martin Buergel auf der Documenta-Pressekonferenz im Vorfeld verlauten. Kunstgenuss und Bildung sollen also auf der Documenta in Einklang gebracht werden. Ein hochgestecktes, nahezu unerreichbares Ziel, das sich der diesjährige Documenta-Chef gesetzt hat. So könnte man schließlich denken. Aber dieser reagiert auf etwaige Zweifel mit einer geschickten Taktik. Die während der Recherchearbeit aufgekommenen Fragen hat der Kurator zusammen mit seinem künstlerischen Team aufgegriffen und zu jeweils drei Leitfragen ausformuliert: „Ist die Moderne unsere Antike?“, „Was ist das bloße Leben?“ und „Was tun?“. Diese Fragestellungen, die in enger Wechselwirkung zueinander stehen, geben keine feste Struktur vor und auch eine ausformulierte Antwort wird der Documenta-Besucher nicht vorfinden. Die Leitmotive sollen den Besuchern lediglich als Wegweiser und Anknüpfungspunkte dienen, welche beim Rezipieren individuelle Assoziationen und Wahrnehmungen auszulösen versuchen.

Es geht also um die persönliche Erfahrung jedes Einzelnen. Eine Erfahrung der Ästhetik, die einen Dialog zwischen dem Besucher und den Exponaten kreiert und somit eine Antwort auf die Fragen liefern soll. Die Leitmotive sollen in der Ausstellung lebendig werden und die jeweiligen Antworten in den Werken selbst zu finden sein.

Der Fokus dieses großen Kunstsommers liegt auf dem Thema Bildung und die Documenta soll diese vorantreiben. Der Vorschlag des Künstlers Gerwald Rockenschaub, mehrere Gebilde im Klassenzimmer-Stil aufzustellen, wurde dennoch von der künstlerischen Leitung ausgeschlagen. Festgelegte Orte als Diskussionsplattformen, oder auch einfach nur zum Zurück-ziehen und Entspannen, soll es auf der Ausstellung sicher geben. Doch das Klassenzimmer-Format galt als zu festgefahren und vor allem als zu symbolisch.

Neben dem einzelnen Klassenzimmer, das dem Künstler dennoch gegönnt wurde, findet man auf der Documenta nun einfache Stühle. Einfallslos und kühl, so könnte man denken, wenn man an jeder Ecke einen weiteren, vereinzelten Holzstuhl herumstehen sieht. Was sich aber dahinter verbirgt, ist deutlich mehr als nur eine einfache Sitzmöglichkeit. Denn wenn man sich schon auf einer Kunstausstellung befindet, dann können schließlich auch simple Gebrauchsgegenstände zu wahren Kunstwerken transformiert werden.

Aus dieser einfachen Idee entwickelte der Künstler Ai Weiwei ein außergewöhnliches Projekt. In Gruppen zu je 200 Personen lud dieser 1000 Chinesen (Chinese Nr. 1001 ist er selbst) nach Kassel ein. Und mit ihnen 1001 aus der Qing-Dynastie stammende chinesische Stühle. Wo die Symbolik an der einen Stelle vermieden wird, so wird diese an der anderen vollends ausgeschöpft. Der Künstler betonte ausdrücklich, dass die Chinesen nicht als Ausstellungsobjekte anzusehen seien. Vielmehr gilt es zu untersuchen, inwiefern sich ein sozialer Raum verändert und inwieweit sich Menschen, die ihr kleines Heimatdorf zuvor noch nie verlassen hatten, auf dieses gigantische Kunstereignis einzulassen vermögen.

Neben Ai Weiwei sind auf der Documenta weitere 132 namhafte Künstlerinnen und Künstler vertreten, die alle auf ihre eigene Art und Weise zur imposanten Mannigfaltigkeit dieser Ausstellung beitragen und der diesjährigen Documenta ihren ganz eigenen, individuellen Schliff verpassen.

Rund 200 Kilometer weiter, in Richtung Nord-West, zeigt eine kleine Ausstellung, dass es auch ganz anders geht. Vom 17. Juni bis 30. September 2007 findet zum vierten Mal die Ausstellung „Skulptur Projekte" statt. Anders als bei der Großausstellung in Kassel mischt sich die Kunst in Münster direkt unters Volk. Die 34 Exponate verteilen sich über das gesamte Stadtbild. Mit einem Plan in der einen und einem Regenschirm in der anderen Hand radelt man in Münster durch die grüne Stadt, stets auf der Suche nach einem neuen Werk. Und dies ist hier wahrlich nicht ganz einfach. Denn entweder man befindet sich auf der Suche nach einem Werk, oder vereinzelte Exponate werden gar nicht erst als Kunstobjekte wahrgenommen. Aber genau das ist Teil des Konzepts: Schnitzeljagd in Münster – eine etwas andere Form der Kunstvermittlung.

Die Maxime „Kunst im öffentlichen Raum“ wurde bereits zur ersten Ausstellung 1977 geprägt und man blieb ihr bis heute treu. Auch in diesem Jahr wurden die Künstlerinnen und Künstler eingeladen, sich mit den geschichtlichen und sozialen Gegebenheiten der Stadt Münster intensiv auseinanderzusetzen. So reflektieren die Werke geschichtliche, aber auch moderne Zusammenhänge und kreieren so Nähe zur eigenen Stadt. Für die Besucher also eine optimale Gelegenheit, sich neben künstlerischen Aspekten auch mit den architektonischen, historischen und sozialen Gegebenheiten der Stadt auseinanderzusetzen.

Münsters „Skulptur Projekte" geben keine Vorgaben und sie stellen auch keine Leitfragen zur Diskussion. In Münster setzt man auf Persönlichkeit, während die Kunst für sich selbst sprechen und so zur Bildung der Besucher beitragen soll.

Die Besucherzahlen der vergangenen Jahre zeigen, dass keine der beiden Ausstellungen eine dominante Stellung einnimmt. Dennoch scheint das kreative Konzept der „Skulptur Projekte" Münster eine spürbare Begeisterung unter den Besuchern zu erwecken. Es bedarf also weder prunkvoller Inszenierungen, noch tief greifender pädagogischer Leitsätze, um ein Weltpublikum zu begeistern.



Laura Perenz, 1986 in Hamburg geboren, ist derzeit Studentin der Kommunikationswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und strebt dort ihren Bachelor-Abschluss im Sommer 2009 an. Bereits im Grundschulalter entwickelte Laura im Rahmen eines Auslandsaufenthaltes in Sydney, Australien ihre Begeisterung für die journalistische Tätigkeit und war daraufhin während ihrer gesamten Schulzeit aktives Mitglied von Schülerzeitungen. Ihr Interesse für die Kunst fokussiert sich auf den Bereich der Fotografie. So sammelte sie in verschiedenen Fotoworkshops und Lehrgängen Erfahrungen im Bereich der analogen sowie digitalen Fotografie. Auch anderen Sparten der Kunst steht Laura stets offen gegenüber. Als Teilnehmerin des Medienpraktischen Kurses „Online Journalismus“ besuchte sie im Juni diesen Jahres die Kasseler „Documenta 12“ sowie sie „Skulptur Projekte Münster 07“, um sich vor Ort ein konkretes Bild über die jeweiligen Ausstellung machen zu können. Insbesondere die zahlreichen Fotoausstellungen auf der „Documenta“ haben Lauras Interesse für diesen Bereich weiterhin gestärkt.



Peter Friedls Zoo Story": Die Giraffe Brownie verlor bei einem Bombenangriff in Palästina ihr Leben. Jetzt steht sie unkom-mentiert auf der Documenta.




Mike Kelleys „Streichelzoo“ in Münster ist als Kunstwerk Teil der Ausstellung. Seine Tiere leben noch.

 
 

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